1913 veröffentlicht Jaspers das Ergebnis seiner psychiatrischen Studien, die "Allgemeine Psychopathologie".
Das Buch, das den Autor über Nacht berühmt macht und heute noch als Standardwerk gilt, begründet die Psychopathologie als Fachwissenschaft, indem es erstmals Begriffe, Phänomene und Methoden in einer offenen Systematik ordnet. Was den Jaspersschen Ansatz von der sogenannten "somatischen" Ausrichtung der Psychiatrie seiner Zeit unterscheidet, ist vor allem die Überzeugung, dass das Seelische – anders als die Gegenstände der Naturwissenschaften - nicht "erklärt", sondern nur "verstanden" werden kann. Seelische Phänomene haben keine eindeutige Ursache. Sie bilden vielmehr komplexe Sinnzusammenhänge, die es zu interpretieren gilt, und das wird gerade bei jenen pathologischen Zuständen deutlich, wo das Verstehen an seine Grenzen stößt.
Dieser Ansatz hat schwerwiegende Folgen für die therapeutische Beziehung, denn er verlangt, dass der Arzt die Selbstdarstellung des Kranken ernst nimmt, dass er sich in ihn hineinversetzt, ihm zuhört und mit ihm spricht - und zwar auf gleichem Niveau. Das Ideal ist ein Gespräch, bei dem der Arzt nicht nur den Patienten, sondern auch sich selbst besser versteht. Aus dem Arzt-Patient-Verhältnis macht Jaspers ein Paradigma dessen, was er als Philosoph "existenzielle Kommunikation" nennen wird.