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Regionalbuch des Monats September 2024

De bruun Ranzel

De bruun Ranzel

ov: Wat'n mit mi maken kann / Oswald Andrae. - Nummerierte und vom Autor handsignierte Ausgabe - Fischerhude : Verlag Atelier im Bauernhaus, 1977. - 38 ungezählte Seiten : Illustrationen, Notenbeispiele. - ISBN 3-88132-006-7 (Fischerhuder Texte ; 6)
LBO: SPIEKER B 2 B ; 79-3440

Oswald Andrae aus Jever (1926-1997) gehörte zur sogenannten „Flak­helfer­generation“ und damit zu denjenigen, deren Schulzeit fast ausschließlich wäh­rend des Nationalsozialismus stattfand. Der frühen Ideologisierung in der Hitlerjugend folgte der ebenso frühe Kampfeinsatz an der „Heimatfront“. All dies blieb für die Persön­lichkeits­bil­dung Andraes nicht ohne Folgen, wie er Jahre später in kriti­scher Selbstreflexion in seinem Buch De bruun Ranzel ov: Wat’n mit mi maken kann kon­statiert, das 1977 erschien. Der braune Ranzen des Schuljungen, mit dem seine Schulzeit und sein Engagement in der Hitlerjugend statt­fand, stellt der Autor als Sinnbild für den Unsinn der nationalsozialis­tischen Erziehung dar.

De bruun Ranzel ist ein sehr kurzer, aber in zweierlei Hinsicht ungewöhnlicher Text: Zum einen ist er mit Ausnahme der Zitate in plattdeutscher Sprache gehalten. Zum anderen ist De bruun Ranzel eines der frühen Beispiele kritischer Selbstreflexion über das eigene Leben im Nationalsozialismus.

Den hochdeutschen Zitaten, die vor allem die Propagandasprache der damaligen Zeit wiedergeben, steht der auf nüchtern-lakonische Wei­se reflektierende plattdeutsche Text des Ich-Erzählers gegen­über. Durch die Lektüre entsteht so der Eindruck, als sei Hochdeutsch ausschließlich Sprache der Täter und Plattdeutsch Spra­che der Opfer gewesen. Dies entsprach nicht den Tatsachen – wie so häufig, waren die Übergänge fließend. Nur weil Hochdeutsch vor wie nach der Zeit des Nationalsozialismus die offizielle Sprache in Deutschland war, heißt das nicht, dass Plattsprecher für national­sozi­alistische Propaganda weniger empfänglich gewesen wären. Aber gerade diesen scheinbaren Widerspruch legt Andraes Text scho­nungslos offen.

Stand: 10.11.2025